KOFELGSCHROA – FREI. SEIN. WOLLEN.

2014. Dokumentarfilm 90 Min. | Movienet Filmverleih, BR, Südkino Filmproduktion GmbH | Regie: Barbara Weber | Produzent und Kamera: Johannes Kaltenhauser

 

Entschleunigung auf Bayerisch

Gegen das Schubladendenken: Der Film über die Oberammergauer Band Kofelgschroa ist genau so tiefgründig wie die Musiker selbst. Und anrührend zugleich.

 

Die Band kurz vor ihrem Auftritt auf dem on3-Festival im Münchner Funkhaus. Eine Fernseh-Journalistin will wissen, welche Art von Musik sie denn spielen. Die Musiker von Kofelgschroa schauen sich fragend an. Erzählen zögernd etwas über Wiederholungen und Trance und Hypnose. Dass das aber eigentlich alles nur Begriffe seien, aus der Not heraus geboren, weil man sich immer irgendwie erklären müsse. Letztlich fangen die vier jungen Männer untereinander zu diskutieren an, ob sie denn nun politisch seien oder sozialkritisch oder einfach nur kritisch. Einer vom Fernsehteam verdreht die Augen, wendet sich ab. Was für schräge Vögel.

 

Dass nun ein Film über die bayerische Band Kofelgschroa in den Kinos anläuft, hat mit Zufall, Zuversicht und Hingabe zu tun. Die Regisseurin Barbara Weber drehte gerade in einer Münchner Wirtschaft, als plötzlich Maxi Pongratz, Matthias Meichelböck und die Brüder Martin und Michael von Mücke mit Horn, Tuba, Gitarre und Akkordeon hereinspazierten. Erst dachte auch sie: Schräg. Als sie anfingen zu spielen: charmant. Nach einem Gespräch mit ihnen: wunderbar. Webers Vater, ehemals zweiter Hornist im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, hatte einmal gesagt: "Ein richtig guter Musiker muss ein Musikant sein." Und genau das hörte und spürte die Regisseurin bei der Band: "Keine technische Brillanz, sondern eine Spielfreude, die einen packt und tief berührt." Sie blieb mit den Jungs in Kontakt, besuchte sie in deren Heimatort Oberammergau. Da kamen die Musiker gerade vom weltweit größten Blechbläserkonzert aus dem serbischen Guča zurück. Mit dem Fahrrad hatten die vier die gut 1.000 Kilometer zurückgelegt, um mit Musikern aus aller Welt auf den Trottoirs der Stadt zu spielen. Ihre zuweilen leise, melancholische Musik kam jedoch nicht gut an, sie wurden verscheucht, schliefen in Rohbauten, eines Morgens war ihre mühsam ersparte Videokamera weg. "Jeder andere hätte sich vermutlich darüber geärgert", sagt Weber. "Wäre traurig gewesen, frustriert. Die Jungs sagten nur: 'Da haben wir nicht reingepasst' und 'Die Kamera hat jetzt jemand anders.'" Spontan schlug Weber damals vor: Lasst uns eine Doku drehen. "Ich musste das einfach einfangen", sagt sie heute, "diese bayerisch-lakonische Art, einfach nur zu sein. Dinge zu nehmen, wie sie sind." Und dennoch vieles infrage zu stellen. Die Musiker fanden die Idee "saukomisch". Ließen sich dann aber doch darauf ein. Meistens.

 

Entschleunigung, Downshifting, verwurzelt sein

Nachzudenken, sich zu sammeln, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Was macht das Leben eigentlich aus? Und ist nicht alles gut, wie es ist? "Du sigst rot, du sigst grian, du sigst Vegl de flieang. Du kost im Wasser bodn und du deafst Radl fohrn. Wenn du mogst jedn Dog und du deafst a bei Nocht", singen die Kofelgschroaer in ihrem Lied Verlängerung und bitten den Herrgott, sie doch noch ein Weilchen länger auf der Erde zu lassen. Weil es mehr als Radlfahren und in einen See hupfen zum Glücklichsein nicht braucht. Der Film über die Band Kofelgschroa (Kofel heißt der Hausberg von Oberammergau) lässt sich genau so wenig in eine Schublade pressen wie die Musiker selbst. Band-Doku. Roadmovie. Gegensatz Stadt – Land. Coming-of-age. Der Dünkel des professionellen Musikbetriebs. Die Sehnsucht, angenommen zu werden, so, wie man ist. Die Angst davor, in einer Welt voller Möglichkeiten die falsche Option zu wählen. "Sie halten uns allen einen Spiegel vor", sagt Weber. "Fordern uns auf, nachzudenken – allein durch ihre Art zu sein." Als Martin sagt, er hätte mit 26 noch genügend Zeit sich zu überlegen, was er aus seinen Leben machen wolle, schallt lautes Gelächter durch den Saal des Münchner Rio-Filmpalasts, in dem der Film vergangene Woche Deutschlandpremiere feierte. Dann Applaus. Ebenso bei der Szene, als eine Berliner Radiomoderatorin sich bei den Musikern beschwert, dass sie auf deren Homepage nichts über sie gefunden habe. Sie müssten da schon ein, zwei Sätze anbieten, "auch wenn es etwas total Beklopptes ist". Sonst wisse man ja nicht, über was man reden solle. Und Maxi daraufhin sagt: "Warum immer reden?"

 

Geldverdienen kann kein Lebensinhalt sein

Entschleunigung, Downshifting, verwurzelt sein, etwas finden, was einem Kraft gibt – was Lebensberater uns als Elixier für ein gutes Leben verkaufen, ist für die Mittzwanziger  selbstverständlich. Geld verdienen kann kein Lebensinhalt sein. Der Opa hat Kaputtes nicht weggeworfen, sondern repariert oder einen neuen Zweck dafür gefunden. Warum sollten sie es anders machen? Nach einer durchgetakteten Tournee geht Michael in seine Schmiede. Matthias, Architekturstudent, in die Berge oder zum Pilgern. Maxi, gelernter Gärtner, zu seinem Lieblingsplatz – "irgendwo im Nordosten von O’gau", wo die Sonne am längsten scheint. Und Martin, Mechatroniker und Holzbildhauer, zu seinen Ziegen, die ihm vorleben, was wichtig ist: Zeit zu haben und zu schlafen, wenn man müde ist.

 

Auf dem Münchner Dokfilmfestival wurde Kofelgschroa zum Publikumsliebling gewählt. Weil es ein zutiefst anrührendes Porträt von vier jungen Männern ist, die der überdrehten Welt unglaublich gut tun. In rotes Licht getaucht, tanzen die Konzertbesucher zu den Liedern, die Augen geschlossen, selig schmunzelnd. "Die Wäsche trocknet an der Sonne, die Wäsche trocknet auch am Wind, die Wäsche trocknet auch am Lihicht – wie schön ist das eigentlich", singen Maxi, Michael und Matthias minutenlang ins Mikrofon, während Martin die Helikontuba bläst. So einfach, so poetisch, so wahr.

 

(Heike Littger, die ZEIT)